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Dialogforum „IKOE-Projekt der AGSA als Beispiel: Wie erreichen EU-Projekte die Bürger in Sachsen-Anhalt?“ – Förderprogramme können Fluch und Segen zugleich sein
Magdeburg
Im einewelt haus in Magdeburg ist am 12. Mai 2025 im Rahmen der Europawoche das 3. Dialogforum zum IKOE-Projekt der Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt e.V. (AGSA) ausgerichtet worden. Akteure, die im engeren oder weiteren Sinn mit dem Thema Europa und EU befasst sind, erhielten tiefgründige und erhellende Sichtweisen zur Frage: „Wie erreichen EU-Projekte die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt?“.
IKOE-Projektleiterin Dr. Katja Michalak erläuterte zum Auftakt in einem Überblick verschiedene EU-Förderprojekte wie z. B. den AMIF-Fonds, die in Sachsen-Anhalt umgesetzt und vom Land kofinanziert werden. Eine Fragestellung war, ob dieses Finanzierungsmodell eher Fluch oder Segen mit Blick auf Projekte und deren Trägerinnen und Träger ist. Wie im Verlauf der Diskussion deutlich wurde, ist es offenbar beides. Auch Dr. Katja Michalak machte dies bereits zum Auftakt deutlich: Einerseits sei durch das Landesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung eine gute Erreichbarkeit der verschiedenen Programme zu verzeichnen. Dem stehe aber die komplizierte Förderlogik entgegen.
Ein Problem ist laut Dr. Katja Michalak etwa, dass für jede Förderperiode ein neuer Projekttitel gefunden werden müsse – dies schwäche den Wiedererkennungswert. Und die Ko-Finanzierung durch das Land sei aus haushaltstechnischen Gründen jeweils lediglich für ein Jahr gesichert, so dass auch die hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer nur Arbeitsverträge für ein Jahr bekommen könnten. Dies komme eher einem „Fluch“ gleich.
In einem Kurzvortrag betonte der Vizepräsident der Europäischen Bewegung Sachsen-Anhalt e.V., Thomas Rieke (Gruppenfoto, 3.v.r.) aus Magdeburg, dass EU-Projekte in ganz Europa Regionen in den Mitgliedsstaaten und auch die Menschen unterstützen würden. Dies sei besonders wichtig im von demografischen Herausforderungen und Abwanderung geprägten Sachsen-Anhalt. Als Ziele nannte er die Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit, Bildung, sozialer Zusammenhalt, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und sowie die Verbesserung der Lebensqualität. Konkrete Beispiele seien der Breitband-Ausbau im ländlichen Raum, Förderprogramme für Auszubildende und die Förderung der Strukturwandelregion.
Doch festzustellen sei ein „begrenzter Bekanntheitsgrad“ bei vielen Projekten. Die EU erscheine für viele Bürgerinnen und Bürger als „zu weit weg“, sie wünschten sich mehr Transparenz und Beteiligung. Erschwerend komme hinzu, dass Bund und Land zur Ko-Finanzierung erst Richtlinien erlassen müssten, die vom Umfang her weit über das von der EU geforderte Maß hinausgingen. So bestehe die Gefahr, dass EU-Mittel zurückgegeben werden müssten, weil Förderprogramme zu spät in Kraft treten und die Frage der Ko-Finanzierung nicht rechtzeitig geklärt werden konnte.
Die Rechts- und Verwaltungswissenschaftlerin von der Hochschule Harz und ehemalige Justizministerin des Landes Sachsen-Anhalt, Prof. Dr. Angela Kolb-Janssen (siehe Portraitfoto), ging auf Tendenzen und Entwicklungen in Bezug auf das Thema ein. Viele Bürgerinnen und Bürger würden kaum wahrnehmen, dass die Förderung von der EU käme, und die EU eher in Verbindung mit bürokratischen Vorschriften bringen.
Dabei kämen viele EU-geförderte Projekte den Bürgerinnen und Bürgern direkt zugute – etwa die aufwändige Sanierung des Editha-Gymnasium in Magdeburg oder die Schulsozialarbeit, die durch die EU im Rahmen des Projektes „Schulerfolg sichern“ gefördert wird. Außerdem erhielten Schulen auf dem Land moderne Technik dank EU-Fördermitteln. „EU-Projekte tragen wesentlich zur Entwicklung von Sachsen-Anhalt bei, und die Bürgerinnen und Bürger profitieren immer direkt, aber ohne es zu merken“, sagte sie. Kommunikation und Bürgernähe bleibe deshalb eine zentrale Aufgabe.
Auch in der Diskussionsrunde im Anschluss wurde deutlich, dass wenig Bewusstsein und Wertschätzung in der Bevölkerung bestehen, was mit EU-Geldern alles gefördert wurde bzw. wird und greifbar bei den Menschen vor Ort angekommen ist. Dabei habe der dezentrale Ansatz der Fördermittelvergabe (Nationalstaaten zahlen Gelder an die EU, die finanzielle Mittel an lokale Projekte in den Nationalstaaten vergibt) viele Vorteile: So ermögliche sie Teilhabe auf lokaler und regionaler Ebene für Projekte, für die auf Bundes- bzw. Länderebene keine Mittel vorhanden sind. Hervorgehoben wurde die Rolle von Netzwerkarbeit, durch die Kompetenzen gebündelt und Synergien geschaffen werden können. „Gemeinsam ist man stärker und hat eine größere Wirkkraft“, hieß es.
In der Diskussion wurde mit Blick auf die Rolle der Landtagswahlen 2026 eine stärkere „Lobbyarbeit“ empfohlen. Bereits im Vorfeld sollten Wünsche und Erwartungen an die politischen Parteien kommuniziert werden, damit sie diese in ihren Wahlkampf und in das Regierungsabkommen aufnehmen und in die EU tragen können. Das Thema „Fachkräftemangel“ könnte dabei als Zugpferd dienen.
Auch eine bessere Öffentlichkeitsarbeit in Bezug auf die EU-Förderstrategie wurde in der Diskussion angesprochen. So lautete eine Vision, einen im ÖPNV des ländlichen Raums verkehrenden Bus im Design der EU-Flagge zu gestalten. Ein niederschwelliger Ansatz sei oft wirksamer als viel Gerede, hieß es zur Begründung. Die EU werde zudem oft als starres Konstrukt wahrgenommen, woraus sich Verdrossenheit entwickele. Eine wertschätzende Haltung sei in der Bevölkerung wenig ausgeprägt, oft werde die Meinung vertreten, dass das Land dafür schließlich auch Mitgliedsbeiträge bezahle.
In der Projektlogik sollte ebenfalls ein Schritt weitergedacht werden, sagte Dr. Katja Michalak. So dürfe sich das IKOE-Projekt nicht primär auf Verwaltungen in Sachsen-Anhalt konzentrieren, sondern als zentrales Anliegen auf eine gerechtere Gesellschaft hinwirken.
Mit einem bildhaften Vergleich brachte Thomas Rieke die Thematik auf den Punkt: Eine EU-Förderung sei wie W-Lan. „Man sieht es nicht – aber wenn es fehlt, merkt man es.“

